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Klaus J. Bade, Jochen Oltmer, Normalfall Migration: Texte zur Einwandererbevölkerung und neue Zuwanderung im vereinigten Deutschland seit 1990, Bundeszentrale für Politische Bildung bpb 2004

Über die Ostsee nach Westen: Frau Sch., 1917 in Pommern geboren, berichtet über die Flucht vor der Roten Armee im März 1945

„Wir waren 13 Stunden auf diesen offenen Loren bis Kolberg unterwegs, teils im Schneesturm. Und wenn nicht eine Frau, die mit auf der Lore war, ihre Federbetten, die dann schon von dem Schneesturm naß geworden waren, über meine Kinder gedeckt hätte, wären die danach vielleicht tot. Als wir in Kolberg ankamen, trafen wir einen Verwandten. Er gab uns einen Wohnungsschlüssel, es war ja nachts. [...]

Wir kamen dort an. Es gab noch ab und zu ein bißchen Gas, wir konnten uns etwas erwärmen. [...] In Kolberg hatten wir auf dem Bahnhof auch schon Beschuß, Artilleriebeschuß von den Russen. Da flog uns der Dreck schon um die Ohren, und es waren auch Aufklärer, und deswegen mußten wir auch von dem Bahnhof runter. Und dann am 5. März abends [...] kamen drei Minenräumboote und 36 Fischkutter. Und die Leute standen am Hafen und strömten dahin. Es war unmöglich! Wenn hier das Boot anlegte, dann liefen sie dahin, und es kamen eben nur erstmal die Männer, die da waren, die kamen hauptsächlich mit.

Ich habe gesehen, wie ein paar Frauen mit Kinderwagen in den Fischerbooten, in diesen Kuttern waren, und die Männer traten einfach in die Kinderwagen rein, um an Bord zu kommen. [...] Und dann hielt neben uns ein Minenräumboot. Da wurde vorne eingeladen, und da stand noch einer von der Wehrmacht und auch einer von der NSV, und dann kamen die Leute über die Treppen, und da hinten am Heck stand ein Matrose. Dem hab’ ich meinen Jüngsten rübergereicht und eine Tasche. [...] Und als ich den Jungen drauf hatte und die Tasche, da fuhr das Boot los und da haben wir hinterhergeschrien. Und da hieß es, die könnten nicht mehr anlegen, aber es käme [...] noch ein gleiches Boot. [...] Und da wurde das herangewinkt und sie sollten diese eine Familie noch mitnehmen. Und da haben die gesagt, ‚nur diese eine Familie noch, das Kind ist ja schon da drauf.’ Und dann legte das Boot an und dadurch kamen wir mit drauf. [...] Und wir legten Mitternacht oder kurz nach Mitternacht, etwa gegen 1/2 2 legten wir in Swine­münde an und wurden in ein Kino gebracht. [...] Die Boote lagen nebeneinander, und wir bekamen den Jungen dort wieder und auch die Tasche.“

Quelle: Klaus J. Bade/Hans-Bernd Meier/Bernhard Parisius (Hg.), Zeitzeugen im Interview. Flüchtlinge und Vertriebene im Raum Osnabrück nach 1945, Osnabrück 1997, S. 99f.

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