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Klaus J. Bade, Jochen Oltmer, Normalfall Migration: Texte zur Einwandererbevölkerung und neue Zuwanderung im vereinigten Deutschland seit 1990, Bundeszentrale für Politische Bildung bpb 2004

„Unternehmerische Illegale“

„Ich lernte Herrn Y. bei seinem illegalen Grenzübertritt kennen. Erst sein Arm, dann sein Mund mit dem Finger – ,psst‘ –, und dann der ganze Mann kam unter dem Zugsitz hervor. Ich rief keine Ordnungsmacht, und er war, um meine Kooperation zu erhalten, nur zu gerne bereit, mit mir über sich zu sprechen. Eigentlich lebte er als Asylbewerber woanders. Das schützte ihn vor Ausweisung. In Berlin aber arbeitete er. Nach einigen Sätzen sprach ich ihn auf seinen Akzent des Englischen an, der gar nicht zu dem Fluchtland Ghana passe. ,What do you mean?‘ – ,You speak like a man from Nigeria‘s western region‘ – ,You have been there?‘ Er unterbrach meine Aufzählung der Orte Westnigerias: ,Yes, I am from Abeocuta.‘ Ja, er war Sohn eines Druckereibesitzers in dieser Mittelstadt. Die Familie hatte das Flugticket, einen gefälschten Pass und die Jobconnection besorgt. Er hatte einen präzisen Auftrag: Geld verdienen und eine neue Druckmaschine kaufen. Ich fragte ihn nach der Marke der bisherigen, da ich mir nicht sicher war, ob er tatsächlich Unternehmersohn sei. Den Heidelberger Tiegel von der Firma Schnellpresse, jahrzehntelang der weltbeste Kleinoffsetdrucker, sollte er ersetzen. Er wusste schon genau, dass er dann, wenn das Geld zusammen war, nach Wiesloch in Nordbaden fahren muss. Ich zweifle nicht, dass ihm der Kauf gelang.

Aufmerksam geworden, fragte ich Kleinunternehmer in verschiedenen Ländern Afrikas und Asiens, woher sie ihr Kapital hätten, und stieß immer wieder auf Erfolgsgeschichten aus der Illegalität europäischer Länder – insbesondere Deutschlands und der Niederlande. [...] Wie häufig sind solche Fälle? Um diese Frage zu beantworten, bat ich Doktoranden um Recherchen in ihrem Bekanntenkreis. Fünf von ihnen befragten Menschen aus ihren jeweiligen Heimatländern Polen, Benin und Kolumbien bzw. dem Feldforschungsland Bangladesh sowie vietnamesische Schmuggler. [...] Es zeigte sich bei Beschäftigungsformen, Formen der Arbeitsuche und Zuwanderung ein in hohem Maße konsistentes Muster [...]. Alle Informationen zeigten eindeutig, dass wir es bei der illegalen Einwanderung mit in zuverlässiger Weise funktionierenden Institutionen (natürlich illegalen Institutionen) zu tun haben. [...] Sämtliche befragten Gesprächspartner wanderten erst nach Berlin oder Brandenburg ein, nachdem sie eine sichere Zusage eines Arbeitsplatzes (zusammen mit der Zusicherung einer Unterkunft) erhalten hatten. Niemand von den Fernwanderern, den Migranten aus anderen Kontinenten, kam hierher, um erst noch Arbeit zu suchen. [...] Eine kleine Minderheit der Migranten wurde vom Arbeitgeber selbst hierher eingeladen. Die Mehrzahl griff auf professionelle – illegale – Arbeitsvermittler zurück. [...]

[Es] lässt sich feststellen, dass 60–90 % der illegalen Fernmigranten nicht primär vor Verfolgung, Verarmung oder Hunger fliehen, sondern wegen ihnen angebotener Arbeitsplätze in Deutschland zuwandern. Motiv dieser Zuwanderung sind die Möglichkeiten, Überschüsse zu erwirtschaften, die später in der Heimat als Kapital eingesetzt werden sollen. Die illegale Zuwanderung ist nicht Folge der Abschottung, sondern Folge der Nachfrage nach Arbeitskraft. Die Abschottung der Arbeitsmärkte zwingt dieser Zuwanderung die Form illegaler Netzwerke auf.“

Quelle: Georg Elwert, Unternehmerische Illegale. Ziele und Organisationen eines unterschätzten Typs illegaler Einwanderer, in: IMIS-Beiträge, 2002, H. 19, S. 7–20, hier S. 8–10, 20.

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