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Mediation im interkulturellen Kontext- Neue Impulse für die Praxis

Aus: IZA- Zeitschrift für Migration und Integration Heft 3/4 2003, S. 71- 76

Zusammenfassung: In diesem Beitrag wird der Frage nachgegangen, welche Rolle die kulturelle Herkunft der Konfliktparteien spielt und welche weiteren Faktoren den Verlauf einer interkulturellen Mediation beeinflussekönnen. Darauf basierend werden Impulse für die Praxis entwickelt und Dilemmata interkultureller Mediation benannt.

Zur Zeit findet eine rege Diskussion über die Bedeutung kultureller Differenzen in der Mediation statt (vgl. Avruch 1991: 5ff., Dulabaum 1998: 95ff., Haumersen/Liebe 1999: 7ff., Liebe 1996: 1ff.), denn das Verfahren soll den Konfliktparteien ermöglichen, den Standpunkt der Gegenseite nachzuvollziehen und Konflikte als positive Impulse für die Aufrechterhaltung ihrer Beziehungen zu nutzen. Dies ist in interkulturellen Konflikten von großer Bedeutung (vgl. Faller 1995: 313f.). In der Literatur fällt jedoch auf, dass sich die verwendeten Kulturkonzepte oft nur auf die Herkunftsländer beziehen und der Gefahr unterliegen, stark zu schematisieren. Hier soll dargestellt werden, warum diese Konzepte wenig Basis für interkulturelle Mediation bieten und welche weiteren Faktoren das Verhältnis zwischen den Teilnehmern in interkulturellen Mediationen beeinflussen können.

1 Bedeutung des Kulturbegriffs

2 Institutionelle Diskriminierung: Ein unberücksichtigter Faktor

3 Der Zusammenhang von strukturellen Gegebenheiten und Konfliktwahrnehmung

4 Konsequenzen für interkulturelle Mediationen

5 Offene Fragen


1 Bedeutung des Kulturbegriffs

Zuerst sollen die besonderen Merkmale von Kultur in postmodernen Gesellschaften dargestellt werden, da Kultur in Konflikten prinzipiell eine wichtige Bedeutung hat: Sie gibt die Regeln vor, nach denen im Konflikt gesprochen und gehandelt wird, weil diese als normative Orientierungen von den Teilnehmern der Kultur durch Sozialisationsprozesse internalisiert wurden. Kulturelle Verhaltens- und Wahrnehmungsformen werden also nicht problematisiert, bzw. erst dann wenn eine Konfliktpartei diese ungeschriebenen Regeln grob verletzt oder die gewohnten Verhaltensweisen als untauglich erkannt werden (vgl. Bartholdy 1992: 175f.). Dies kann zur beschleunigten Eskalation eines Konfliktes beitragen, weil keine adäquaten, gemeinsamen Handlungsmuster zur Problemerkennung und-lösung existieren (vgl. Kappe 1996: 22ff.). In der bisherigen Literatur zu Mediation wird dies v.a. in Konflikten zwischen Menschen aus verschiedenen kulturellen Hintergründen antizipiert. Hier muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass die kulturellen Hintergründe auch in Konflikten zwischen Angehörigen derselben Kultur sehr unterschiedlich sein können., denn die kulturellen Selbstverständlichkeiten in modernen Gesellschaften sind Ergebnisse eines Aushandlungsprozesses zwischen verschiedenen Individuen und Gruppen, die ihre Vorstellungsweisen und Handlungsdefinitionen durchzusetzen versuchen (Bailey 1991: 61f.). Was sich als kulturelle Hegemonie durchsetzt, ist Produkt eines Aushandlungsprozesses zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen mit unterschiedlichen Handlungs- und Vorstellungsweisen, daraus folgt, dass diese Hegemonie wandelbar und nicht wertneutral ist (vgl. Bailey 1991: 61f.).

Kultur ist also geprägt von einem Doppelcharakter: Sie manifestiert sich erstens in Wertorientierungen und zweitens in Verhalten. „A culture ... is a set of imperfectly shared beliefs and values that guide conduct” (Bailey 1991: 62).

Jeder Kulturträger wählt und wertet verschiede Gesichtspunkte der ihn umgebenden Kultur unterschiedlich, dabei kann er jedoch nur solche auswählen, die dieser Kultur schon immanent sind. Dies bedeutet, dass innerhalb einer Gesellschaft eine Vielzahl von individuellen oder gruppenspezifischen Kulturen existiert.

Hier wird der zweite Doppelcharakter von Kultur deutlich, denn sie ist allen Individuen einer Gesellschaft übergeordnet, gleichzeitig wird sie jedoch auch von jedem Einzelnen transformiert und den eigenen Lebensbedingungen, dem Umfeld und den persönlichen Zielen angepasst, so dass es eine Vielzahl von individuellen Kulturen und Subkulturen innerhalb des gesellschaftlichen Rahmens gibt. Im Hinblick auf die kulturelle Vielfalt in Deutschland bleibt noch anzumerken, dass bereits die ersten Arbeitsmigranten in Deutschland bestimmte Aspekte ihrer Herkunftskulturen betonten, die für ihr Leben in Deutschland relevant wurden. Herkunftskulturen werden also seit Beginn der Einwanderung nach Deutschland transformiert und es bildeten sich mit jeder Migrantengeneration neue Kulturen, die sowohl von der Herkunftskultur als auch von der deutschen Kultur beeinflusst sind (vgl. Treibel 1999: 190ff.).

Nestvogel plädiert dafür, nicht die unterschiedliche Herkunft der Konfliktparteien als problematisch zu werten, sondern den Grad der Fremdheit, der zwischen den Konfliktparteien herrscht, als Ansatz für Verständigung zu nutzen. Denn als fremd wird oft erlebt, was an der eigenen Identität nicht wahrgenommen werden kann oder verdrängt wird (vgl. Nestvogel 1994: 27).

Daraus folgt, dass die Lebensumstände der Konfliktparteien in das Mediationsverfahren integriert werden müssen, um Fremdheit und daraus resultierende Differenzen in der Konfliktwahrnehmung fassbar zu machen.

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2 Institutionelle Diskriminierung: Ein unberücksichtigter Faktor

Institutionelle Diskriminierung drückt sich innerhalb einer Gesellschaft in sozialen Abläufen aus, durch die direkt oder indirekt verschiedene gesellschaftliche Gruppen geschaffen werden. Dies geschieht durch organisatorische Entscheidungen, die für diese Gruppen bedeuten, dass sie „weniger psychische, soziale oder materielle Belohnungen erhalten je nach quantitativer und/oder qualitativer Leistung“ (Alvarez, zitiert nach Dittrich 1991: 46f.). Diese Definition bedeutet, dass auch Gesetze, die nicht direkt eine bestimmte Gruppe der Bevölkerung ausschließen bzw. auf deren Benachteiligung ausgerichtet sind, diskriminierende Auswirkungen auf bestimmte gesellschaftliche Gruppen haben können. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn besondere Lebenssituationen bei Regelungen, die diese Gruppe betreffen, nicht berücksichtigt werden.

Wichtig ist, dass diese Regelungen auf Maßstäben beruhen, die auch außerhalb der regeldefinierenden Institutionen existieren. Institutionelle Diskriminierung kann daher nur unter gesamtgesellschaftlicher Perspektive erfasst werden und ist im Schnittpunkt „von ökonomischen, politischen und kulturellen Faktoren“ zu verorten (vgl. Dittrich 1991: 46ff.).

Eine Analyse der rechtlichen und gesellschaftlichen Situation der Zuwanderer in Deutschland zeigt, dass diese in ihrer Lebensgestaltung in Deutschland durch verschiedene juristische Einschränkungen deutlich beeinflusst werden, die sich oft mit Formen der institutionellen Diskriminierung und Vorurteilen verbinden. Ein Beispiel hierfür ist die überproportionale Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte in niedrig- oder unqualifizierten Berufen (Bremer 2000: 78f.).

Diese Erfahrungen können bei Jugendlichen aus Migrantenfamilien zu delinquentem Verhalten beitragen (vgl. Tertilt 1996: 234) und den Rückzug aus der deutschen Gesellschaft bei älteren Migranten verstärken (vgl. Tertilt 1996: 107).

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3 Der Zusammenhang von strukturellen Gegebenheiten und Konfliktwahrnehmung

Hier soll die Dimension der strukturellen Diskriminierung ergänzt werden durch symbolischen Machtverhältnisse, die schwerer zu lokalisieren sind. Sie beeinflussen jedoch maßgeblich die Wahrnehmungs- und Verhaltensweisen von Migranten und Deutschen und sind daher auch in der Mediation relevant.

Ökonomisches, kulturelles und symbolisches Kapital sind die „Machtfaktoren“ (Bourdieu 1992: 140), die über die soziale Position von Gruppenmitgliedern im sozialen Raum entscheiden. Diese Gruppen werden konstruiert durch die Zugangsmöglichkeiten zu gesellschaftlichen und sozialen Ressourcen, die an den Kapitalbesitz geknüpft sind. Kulturelles und symbolisches Kapital sollte an dieser Stelle erläutert werden, ökonomisches Kapital kann mit finanziellem Vermögen gleichgesetzt werden. Kulturelles Kapital bezieht nicht nur Bildung mit ein, sondern alle Bereiche, in denen Kultur deutlich wird. Es drückt sich also beispielsweise in der Freizeitgestaltung aus und ist „die Kenntnis von kulturellen Codes“ (Villa 2000: 30), die im Sozialisationsprozess erworben wird.

Das symbolische Kapital kann erst entstehen, wenn ökonomisches und kulturelles Kapital sich in Form von legitimierten „Wahrnehmungskategorien“ (Bourdieu 1992: 149) durchgesetzt haben und gesellschaftlich anerkannt werden. Damit trägt es dazu bei, die aus dem Besitz von kulturellem und ökonomischem Kapital abgeleiteten Machtansprüche zu rechtfertigen und diese in den objektiven Machtbeziehungen zu verankern.

„Die objektiven Machtbeziehungen reproduzieren sich ihrer Tendenz nach in den symbolischen Machtbeziehungen“ (Bourdieu 1992: 149). Die symbolischen Machtverhältnisse müssen jedoch durch zwei Vorraussetzungen gestützt sein: Erstens auf Autorität, die aus den Auseinandersetzungen über die Anerkennung des kulturellen und ökonomischen Kapitals gewonnen wurde. Zweitens muss die Machtverteilung an realen Gegebenheiten begründbar sein. Die Werte, Normen und Einrichtungen einer Gesellschaft werden also durch symbolische Macht legitimiert. Daraus folgt die Selbstverständlichkeit dieser Gesellschaftsmerkmale, die sich in den Denk- und Wahrnehmungsweisen ausdrücken, die selbst aus dem Sozialisations- und Verinnerlichungsprozess der symbolisch legitimierten Machtverhältnisse hervorgegangen sind. Daraus lässt sich ableiten, dass Werte, Verhaltensweisen oder Erscheinungsformen, die nicht die den symbolisch legitimierten selbstverständlichen Standards entsprechen, als abweichend gelten und sanktioniert bzw. ignoriert werden. Im Hinblick auf ethnische Minderheiten geschieht dies durch den verminderten Zugang zu Ressourcen (vgl. Weiß 2001: 5) und Prozesse institutioneller Diskriminierung. Wie gezeigt wurde, sind die gesellschaftlichen Machtverhältnisse den einzelnen Mitgliedern nicht bewusst und sie tragen durch ihr Handeln zu deren Aufrechterhaltung bei. Daraus folgt dass die Konflikte, die für abweichende Gruppen aus diesen Normen entstehen, für Gruppen die mit diesen Normen im Einklang sind, nicht nachvollziehbar sind.

Wenn es zu Konflikten zwischen Angehörigen beider Gruppen kommt, kann deutlich werden, dass beide Gruppen den Konflikt aus einer völlig anderen Perspektive wahrnehmen. Was für die im Bezug auf gesellschaftliche Normen und Ressourcen überlegene Gruppe als selbstverständliche Wertorientierungen oder gesellschaftliche Maßstäbe gilt, kann für die dominierte Seite Anlass zu ständigen Konflikten sein (vgl. Weiß 2001: 15).

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4 Konsequenzen für interkulturelle Mediationen

Nun soll auf die Konzeptlücken eingegangen werden, die sich aus unterschiedlichen kulturellen und lebensweltlichen Hintergründen der Mediationsteilnehmer ergeben können. Es versteht sich von selbst, dass der Mediator sich der strukturellen und symbolischen Machtverhältnisse bewusst sein muss und der, oft unbewussten, Konsequenzen, die sich daraus für seine Position in der Mediation ergeben.

Wenn ein interkultureller Konflikt auf unterschiedlichen Machtverhältnissen beruht oder von solchen beeinflusst wird, kann er von der dominanten Partei überhaupt nicht also solcher wahrgenommen werden. Da die Konfliktpartei aus der dominanten Gruppe das Anliegen und die Wahrnehmung der dominierten Konfliktpartei aufgrund ihrer privilegierteren Position in symbolischen Machtgefüge nur schwer nachvollziehen kann, kann sie den Konflikt an sich als irrelevant empfinden (vgl. Dulabaum 1998: 88). Zudem wird diese Gruppe ihren Habitus und die damit verknüpften Normen als sachorientiert und sinnvoll empfindet, und das Verhalten der dominierten Gruppe als emotional und vernunftwidrig abwerten (vgl. Weiß 2001: 19). Es wird also deutlich, dass die emotionale Lage der Konfliktparteien im Mediationsverfahren nicht ausreichend in Beziehung zur Lebenswelt der Teilnehmer gesetzt wird und als prinzipiell unwichtiger als die sachlichen Interessen der Konfliktparteien gewertet wird (vgl. Albers 2000: 45f.).

Wenn der Mediator den kulturellen Hintergrund der Beteiligten nur schwer einschätzen kann oder sich zu sehr auf statische Kulturkonzepte verlässt, können die Beteiligten ihre kulturelle Herkunft taktisch einsetzen: Kulturell geprägte Verhaltensweisen können benutzt werden, um Machtkämpfe zwischen den Parteien untereinander und zwischen einer Partei und dem Mediatoren auszutragen, mit dem Ziel, durch strategische Betonung kultureller Unterschiede die Mediation zu manipulieren. Für den Mediator ist es sehr schwer, den taktischen Einsatz von Kultur von tatsächlich bestehenden kulturellen Unterschieden zu unterscheiden (Haumersen/Liebe 1999:28).

Doch auch der Mediator kann Kultur als Erklärungsmuster benutzen, mit dem er sich das Verhalten einer oder mehrere Konfliktparteien erklären kann. So wird eine Verhaltenweise unhinterfragbar und zu einem „exotischen Ereignis“ (Liebe 1999: 49).

Ein weiterer Schwachpunkt des Mediationskonzeptes ist die bisher nur rudimentär stattfindende Reflexion über die kulturell geprägten Vorannahmen des Verfahrens. Der ideale Verhandlungspartner in einer Mediation hat seine negativen Emotionen zu Beginn der Hauptphase artikuliert und ist danach ruhig und sachlich. Negative Emotionen werden also als Hindernis für eine konstruktive Konfliktbearbeitung betrachtet.

Diese Annahme macht deutlich, dass das Mediationskonzept in Nordamerika entwickelt wurde. Dort gilt derjenige Verhandlungspartner als rational und lösungswillig, der ruhig und logisch argumentiert, diese Annahme ist laut Avruch geprägt von den Idealen der weißen Mittel- und Oberschicht. Da dies die Gruppe mit der größten symbolischen und institutionalisierten Macht ist, müssen sich andere gesellschaftliche Gruppen deren Normen unterordnen. Daraus folgt, dass die Anpassung an die Mediationsregeln für gesellschaftliche Minderheiten eine politische Entscheidung sein kann, weil sie sich den Verhaltensnormen der Mehrheit anpassen müssen (vgl. Avruch 1991: 5f.). Dies trifft auch auf Verhandlungspartner aus einer dominierten Gruppe in Deutschland zu, da auch in Deutschland emotionales Verhandeln als Zeichen von Irrationalität gewertet werden kann.

Ein Weg, die Konfliktperspektive der schwächeren Partei sichtbar zu machen, ist die Unterstützung durch den Mediator, bis diese ihre Anliegen äußern kann und von der stärkeren Seite gehört und verstanden wird (vgl. Walker 2001: 33).

Diese Strategie ist in interkulturellen Mediationen m.E. jedoch nicht zu empfehlen. Die asymmetrischen Machtverhältnisse, die in der Mediationssituation herrschen, können sich während der Verhandlung ändern, so dass der Mediator seine eigentliche Aufgabe nur noch eingeschränkt wahrnehmen könnte, weil er ständig mit dem Ausgleich des Kräftegleichgewichts beschäftigt wäre. Zudem kann die Machtdifferenz während der Mediation auch entgegengesetzt zum gesellschaftlich vorherrschenden Verhältnis sein, z.B. wenn die kulturelle Herkunft taktisch eingesetzt wird.

Durch die einseitige Unterstützung einer Konfliktpartei kann zwar ein Machtgleichgewicht geschaffen werden und u.U. eine sachliche Verhandlung initiiert werden, doch wenn dieses Gleichgewicht nicht auch außerhalb der Mediation besteht, so wird auch die Lösung nicht von Bestand sein. Diese geht dann von unrealistischen Bedingungen aus, die im realen Leben der Kontrahenten nicht gegeben sind (vgl. Weiß 2001: 23).

Um aus den genannten Schwachstellen des Mediationsverfahrens Impulse für dessen Weiterentwicklung zu entwickeln, sollen nun erste Ansätze für diese Weiterentwicklung entwickelt werden. Zuerst sollte geklärt werden, was die Teilnehmer zentralen Begriffen wie Gerechtigkeit, Verständigung und Akzeptanz verstehen. Zudem sollten sich der Mediator und die Konfliktparteien Zeit nehmen, um den Kontext des Konflikts und seine Entstehungsgeschichte darzustellen, um nicht auf standardisierte Kulturkonzepte zurückzugreifen und die Bedeutung der symbolischen Machtverhältnisse einzuschätzen. Zudem sollten alle am Konflikt Beteiligten identifiziert werden, und wenn nötig in die Mediation integriert werden.

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Die Klärung dieser Aspekte kann dem Mediator helfen, die Handlungs- und Wahrnehmungsweise der Konfliktparteien zu verstehen. Die Vorphase wird also zu einer besonders wichtigen Phase im Verlauf einer interkulturellen Mediation.

In einem interkulturellen Kontext stellt sich zudem die Frage nach der Autorität des Mediators, da dieser deutlich machen muss, was seine Rolle während der Mediation ist und diese Autorität durchsetzen muss, ohne kulturelle Unterschiede zu ignorieren, um die Mediation problemloser zugestalten oder sich von ihnen verunsichern zu lassen.

Dies erfordert einerseits sehr große Methodensicherheit und -kenntnis seitens des Mediators, da diese durch die Teilnehmer immer wieder auf ihren Sinn hin hinterfragt werden können, v.a. wenn sie als Ausdruck der kulturellen Hegemonie empfunden werden. Wenn der Mediator den Sinn der Mediationsregeln nicht deutlich machen kann, können sie z.B. durch den taktischen Einsatz von Kultur ad absurdum geführt werden. Andererseits muss der Mediator in der Lage sein, die Konfliktparteien als gleichberechtigt wahrzunehmen und auf ihre Bedürfnisse einzugehen, die aus den dargestellten Differenzen entstehen können. Um den Konfliktparteien diese Anerkennung zu signalisieren, kann der Mediator versuchen, mit den Konfliktparteien gemeinsam Verhaltensregeln zu entwickeln, die die kulturellen Unterschiede berücksichtigen, sie aber in den Kontext des Konfliktes setzen. Damit werden die verschiedenen kulturellen Hintergründe im Rahmen der Mediationssituation berücksichtigt.

Da diese Vereinbarungen nur für die Dauer der Mediation gelten, kann ihre Bedeutung für die Konfliktparteien relativiert werden, dies schützt den Mediator ebenfalls vor Auseinandersetzungen um die Struktur der Mediation, die einen neuen Konflikt schaffen kann (vgl. Liebe 1996: 47f.).

Das Verfahren muss im interkulturellen Kontext also modifiziert werden, dabei ist die Einbeziehung der Konfliktparteien und ihrer Vorstellungen von Konfliktbearbeitung entscheidend. So kann die Mediation diesen Vorstellungen angepasst werden. Die Schaffung einer dem einzelnen Mediationsprozess eigenen Konfliktkultur ist also eine Besonderheit interkultureller Mediation.

Daraus kann sich eine Konfliktbearbeitungsstrategie ergeben, die nicht auf direkter Konfrontation der verschiedenen Problemwahrnehmungen beruht und in der indirekte Umschreibungen des Konfliktes eher angebracht sind als konkrete, eindeutige Äußerungen (vgl. Ropers 1995: 75). Es wird deutlich, dass es in interkulturellen Mediationen nicht nur notwendig ist, Vorkenntnisse über die kulturellen Hintergründe der Beteiligten zu haben und das Verfahren dementsprechend zu modifizieren, sondern dass die Mediatoren fähig sein müssen, ihre eigene Rolle zu reflektieren und bei den Konfliktparteien zwar Verständigung zu ermöglichen, dabei aber nicht den Anspruch haben sollten, völliges Verständnis zu erzielen. Ausschlaggebend für das Gelingen interkultureller Mediation ist das Entstehen von Empathie und die Fähigkeit der Beteiligten, das Handeln und Denken der anderen nachzuvollziehen, sowie ihr eigenes u.U. kritisch zu hinterfragen.

Die Autorin ist der Ansicht, dass viele Migranten selbst die besten Voraussetzungen für erfolgreiche interkulturelle Mediationen besitzen, dieser innovative Ansatz wird zur Zeit vom Qantara- Projekt der Caritas Peine weiterentwickelt. Die Ausbildung von Migranten zu Mediatoren hat drei wichtige Funktionen: Erstens kann die Relevanz des kulturellen Hintergrundes besser eingeschätzt werden, zweitens können Sprachschwierigkeiten leichter überwunden werden und drittens können Migranten zumindest partiell ihre Position als ausgegrenzte Fremde in Deutschland verlassen zugunsten einer aktiven und gleichberechtigten Partizipation am gesellschaftlichen Leben in dieser Gesellschaft.

Um eine interkulturelle Mediation nicht als Diskussion um verschiedene kulturelle Werte zu führen, sollte der Mediator die gemeinsamen Vorstellungen für die zukünftige Regelung der Beziehung zwischen den Konfliktparteien in den Vordergrund der Konfliktbearbeitung stellen (vgl. Faller 2001: 44). Dies macht das erste Dilemma interkultureller Mediation deutlich.

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5 Offene Fragen

Da im Mediationskonzept selbst nicht klar ist, wann die Konfliktbearbeitung vertieft werden sollte (vgl. Besemer 1994: 107), ist der Grad der Einschränkung einer Wertediskussion ein grundlegendes Dilemma interkultureller Mediation.

Aus den gesellschaftlichen Gegebenheiten resultiert jedoch ein weiteres Problem, da es in Deutschland keine geeigneten Bearbeitungsinstanzen für interkulturelle Konflikte gibt und Migranten sich als ernstzunehmende Verhandlungspartner auf der gesellschaftlichen Ebene noch nicht etabliert haben. Daraus ergibt sich ein zweites Grunddilemma interkultureller Mediation, da dieses Verfahren zur Veränderung der gesellschaftlichen Struktur Deutschlands beitragen kann, indem Mediation als Teil einer Strategie zur Stärkung der gesellschaftlichen Position von Migranten eingesetzt wird und in ein Netzwerk weiterer struktureller Veränderung integriert wird (vgl. Ropers 1997: 13ff.). Durch die Ausblendung struktureller und kultureller Unterschiede zwischen Konfliktparteien in der Mediation kann Mediation jedoch auch zur Stabilisierung der gesellschaftlichen Ungleichheit beitragen, wenn Mediation nur zur Schlichtung und nicht zur konstruktiven Bearbeitung von Konflikten angewendet werden soll, dies ist z.B. der Fall, wenn kulturelle Unterschiede ignoriert werden und der Konflikt nur unter der Berücksichtigung sachlicher Aspekte bearbeitet wird (vgl. Kappe 1996: 30), oder wenn Kultur zur vereinfachten, determinierenden Verhaltenserklärung benutzt wird (vgl. Avruch 1998: 12f.). Die unterschiedlichen materiellen und rechtlichen Verhältnisse zwischen dominierten und dominanten Gruppen in Deutschland werfen zudem die Frage auf, inwieweit Mediation geeignet ist, um diese grundlegenden, strukturellen Differenzen zu überwinden.

Die Frage nach der Gewichtung von Emotionen bleibt zudem ungelöst, weil diese in der Theorie des Mediationsverfahrens nur die eigentlichen Interessen überdecken. Strukturelle Gegebenheiten lassen sich jedoch nicht dadurch lösen, dass sie auf zwischenmenschliche Emotions- und Kommunikationsdifferenzen reduziert werden (vgl. Nader 1991: 53). Die grundlegenden Schwächen des Mediationskonzeptes im interkulturellen Kontext ergeben sich also aus seinen implizierten kulturellen Vorannahmen und der unzureichenden Einflussmöglichkeit auf strukturelle Ungleichheiten zwischen den Konfliktparteien. Durch die Darstellung der kulturellen und strukturellen Einflüsse auf das Verhalten der Konfliktparteien wird auch deutlich, dass eine Klassifikation interkultureller Konflikte eine andere Basis braucht als die von Glasl entwickelten drei Dimensionen (vgl. Glasl 1994: 62f.). Ein Konflikt, der für die Konfliktpartei aus der dominanten gesellschaftlichen Gruppe ein reiner Friktionskonflikt ist (vgl. Glasl 1994: 65f.), kann in der Wahrnehmung einer Konfliktpartei aus der dominierten gesellschaftlichen Gruppe ein Positions- oder Strukturveränderungskonflikt sein.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Vorphase in der interkulturellen Mediation an grundlegender Bedeutung gewinnt, und der Prozess der Regelerklärung als Einigungsprozess gestaltet werden muss, um verschiedene kulturelle Bedürfnisse aufgreifen zu können. Auch die Zieldefinition muss möglichst auf die Gestaltung der zukünftigen Beziehungen ausgerichtet sein und die Konfliktbearbeitung muss sowohl auf kulturelle als auch strukturelle Gegebenheiten eingehen, ohne die konstruktiven Bearbeitungsmöglichkeiten aus dem Fokus zu verlieren. In diesem Zusammenhang ist die Entwicklung einer mediationsinternen, gleichberechtigten Konfliktkultur von Bedeutung, die nur dann möglich wird, wenn sich die Teilnehmer gegenseitig respektieren und sich der Mediator über seinen eigenen kulturellen und gesellschaftlichen Kontext bewusst ist.

 

Barbara Grotz

Dieser Artikel basiert auf der Diplomarbeit der Autorin, die bei Interesse zugeschickt werden kann.

Zur Zeit promoviert sie zum Thema „Zivilgesellschaftliche Konflikte in der Einwanderungsgesellschaft und dialogische Bearbeitungsmöglichkeiten“ und arbeitet in einem Jugendbildungsprojekt der Stadt Waldkirch zum möglichen EU-Beitritt der Türkei.

Kontakt: Barbara Grotz

Leo Wohleb Weg 8

79183 Waldkirch

07681/4936017

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